Wer keinen Maßstab hat, braucht über Erfolg nicht zu reden
Was ist also der Maßstab, um in unserem Unternehmen mit recht sagen zu können: „Unser System funktioniert!“? Wie lassen sich Erfolgsdefinitionen und damit letztendlich KPIs so angehen, dass unser System nachhaltig und nicht auf Kosten anderer funktioniert?
Eine banale Antwort auf die Frage nach dem Erfolgsmaßstab ist natürlich Profit. Mein Unternehmen soll so profitabel wie möglich sein. Als Erfolgsmaßstab taugt dies aber aus zwei Gründen nicht. Erstens ist Profit kein Erfolgsmesser, weil er eigentlich nur eine Schwelle beschreibt, wo die Differenz von Kosten und Einnahmen größer als Null ist. Eine Schwelle, die zu erreichen in der Regel essentiell zum Wohlergehen der Organisation ist, aber nicht die Organisation selbst ausreichend qualifiziert. So profitabel wie möglich sein zu wollen ist daher ein ausgehöhltes, weil im Kern sinnloses Erfolgsstreben (zumindest in einem privaten Unternehmen). Es ist so als würde jemand sein großes Ziel im Leben als “so sehr atmen wie möglich” benennen, also würde diese Person eine basale Lebensvorraussetzung als ultimativen Lebensinhalt beschreiben. Klingt nicht nach einem guten Leben.
Zweitens ist ein höherer Profit höchstens ein Mittel, um den eigentlichen Erfolg anzustreben. Erwirtschaftet man über die Profitabilitätsgrenze hinaus Gewinne ist das schön, es drängt sich aber die Frage auf, was man mit den Profiten anstellen will, wie man sie also im Sinne eines zu maximierenden eigenen Erfolgsmaßstabs einsetzen möchte. Wir landen direkt wieder bei der Frage, wie Erfolg aussieht. Für DM-Gründer Götz Werner ist Profit‚ nur eine Zahl im „Balance Sheet“. Er findet, dass, wer Profite macht, entweder zu hohe Preise verlangt oder seinen Mitarbeiter*innen nicht genug zahlt. Auch wenn wir nicht alle so wie der Heilige Götz denken wollen: Bleibt Profit einfach Profit mangelt es an wirklichem Erfolg. Schon Adam Smith beobachtete: “The rate of profit…is always highest in the countries which are going fastest to ruin”. Eine Ironie der empirischen Forschung ist da übrigens das die Unternehmen, die am profitabelsten sind, gerade nicht Profit alleine als Ziel haben.
Auch Glück ist kein Erfolgsmaßstab
Eine andere Antwort auf die Frage, wie Erfolg im Unternehmen aussieht, ist die der Glücksmaximierung: „Erfolg ist, glückliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu haben“. Eine schreckliche Vorstellung! Der Philosoph Robert Nozick zeigt mit einem Gedankenexperiment, dass Glücksmaximierung alleine fad schmeckt: Wir würden eine Pille, die uns ewiges Glück verspricht, verschmähen. Wir würden uns an eine Maschine, die uns nur glückliche Erlebnisse vorgaukelt (a la Robert Nozicks Erlebnismaschine) niemals anschließen. Warum? Weil wir tiefer gehende, komplexere Erfahrungen suchen, als das Glück allein. Weil wir für diese auch leiden wollen, denn das macht sie erst wertvoll. Und weil Glück auf Dauer uns problemlösende Kreaturen in den Wahnsinn treibt.
Dostojevsky beschreibt in einem Roman, was passiert, wenn man Menschen alles gibt, was sie glücklich macht. Menschen mit Kuchen, Whirlpool, entspannte Loungemusik und ohne Sorgen, würden innerhalb kürzester Zeit ihren kleinen Utopie-Puff auseinander hauen, damit etwas Unerwartetes passiert, sie etwas Interessantes und Sinnvolles zu tüfteln haben. Nicht gerade das Ideal von einer erfolgreichen Mitarbeiteraktivierung. Nein, wenn schon nicht glücklich, dann sollen Mitarbeiter erfüllt sein, eben von sinnvollen Zielen, aber welche sind das? Wir landen direkt wieder bei der Frage, wie Erfolg aussieht.
Das Tool, um über Erfolg reden zu können: die Werte-Pyramide
Dies gibt Werten eine Funktion und einen Weg sie zu be-werten, sie also in einen Bezug zueinander zu setzen. Wie praktisch in einer Welt, in der Werte oft entweder zu hoch gehangen („Serving the World every day“) oder zu niedrig sind (“kundenorientiert”)
Die Werte-Pyramide in Aktion: Ein Beispiel aus der Praxis
Wenn Werte also teleologisch aufgebaut sind, dann kann man sie ranken. Ganz unten am Fundament sind die Handlungen, die wir täglich ausüben: Mitarbeiter*innen in die Weiterbildung schicken, in Technologie investieren, Kundenanfragen bedienen.
Darüber sind Werte unterer Ordnung. Sie sind der unmittelbare Grund, warum wir die Handlungen ausüben: Zeitgemäße Fähigkeiten, moderne Produkte, Kundenzufriedenheit. Ich kann meine Handlungen damit verbinden, z.B. schicke ich Mitarbeiter*innen in die Weiterbildung, damit sie zeitgemäße Fähigkeiten haben und so dann auch moderne Technologie bedienen können.
Interessant und ab hier immer weniger trivial wird es dann bei Werten zweiter Ordnung: Wofür möchte ich zeitgemäße Fähigkeiten, moderne Technologie, zufriedene Kunden?
Sagen wir, ich bin ein Spediteur. Kein leichtes Geschäft, auch kein sauberes. Dann möchte ich vielleicht der mit den zufriedensten Kunden sein, weil ich weiß, dass die Konkurrenz mit älteren LKWs fährt und damit mehr die Umwelt verpesten, und vielleicht auch weil ich Kunden habe, die mit meiner Hilfe regionale Nahrungsmittel erst einem breiten Markt anbieten können. Dann möchte ich meine Mitarbeiter*innen weiterbilden, weil ich weiß, dass die Branche hart ist und ich niemanden vor der Rente entlassen möchte, dann will ich vielleicht in Technologie investieren, damit LKWs noch weiter fahren können und dabei noch sauberer sind. Meine Werte mittlerer Ordnung sind also: Sicherheit für Mitarbeiter*innen, Sauberkeit des Verkehrs und Empowerment regionaler Hersteller.
Diese Werte und die Werte darunter stehen in unterschiedlichen Beziehungen zueinander. Und auch darüber ließen sich noch Werte ableiten (warum ist eigentlich mir Sicherheit, Sauberkeit und Empowerment wichtig? Gibt es dafür jeweils auch noch einen höheren Grund?).
In Wahrheit ist eine Wertepyramide, die man natürlich auch auf sein individuelles Leben anwenden kann, viel komplexer, was vor allem an den viel zahlreicheren Handlungen liegt, die das Fundament bilden. Habe ich diese Pyramide* aber einmal erstellt, sehe ich meine Werte vor mir. Werte sind dann versachlicht: Ich kann mit anderen Entscheider*innen im Unternehmen dazu sprechen und somit die KPIs oder Erfolgsdefinition der Organisation so erneuern, dass z.B. eine nachhaltige Unternehmensführung ein Teil davon wird. Ich sehe die Art der Beziehung, die die Werte zueinander und zu den Handlungen haben. Ich sehe zum Beispiel, dass mir die Sauberkeit des Verkehrs sehr wichtig ist, aber vielleicht nur eine Handlung auf sie einzahlt. Eine schwache Verbindung in meinem Wertegerüst also? Das zu testen und gegebenenfalls zu stabilisieren, macht dann ein wirklich erfolgreiches Unternehmen aus.
Die Schritte zur Werte-Pyramide
- Bilde das Fundament der Handlungsebene: Schreibe alle Handlungen auf, die dein Unternehmen ausmachen. Beziehe Mitarbeiter*innen und Entscheider*innen dabei stets ein. Versuche die Handlungen zu fokussieren, die das Unternehmen im Vergleich zum Markt besonders machen(also nicht Unternehmenssteuern zahlen, sondern eher etwas wie größter Ausbilder der Branche)
- Verbinde dies mit den Werten unterer Ordnung: Nehme die Handlungen als Basis und frage dich, warum du diese verfolgst, sei hier pragmatisch und ehrlich zu dir selbst (so zeigt größter Ausbilder der Branche dann vielleicht auf junges, innovatives Unternehmen). Verbinde Handlungen und Werte unterer Ordnung miteinander (es können mehrere Pfeile auf einen Wert abzielen, oder eine Handlung auf mehrere Werte)
- Leite die Werte mittlerer Ordnung ab: Was ist das Warum hinter den Werten unterer Ordnung? Schreibe auf warum du etwa jung und innovativ sein willst (Neuerfindung der Branche, Abkehr von fossilen Brennstoffen, regionaler Hoffnungsträger?). Du gelangst somit Schritt für Schritt an höhere, gesellschaftlich relevantere Sphären. Vergesse nicht Zwischenverbindungen aufzuzeigen.
- Zoome heraus und teste die Stabilität der Pyramide: Welche Elemente können sich auf mehrere Pfeile stützen? Welche stehen eher instabil und isoliert dar? Welche Verbindungen sind stark, welche sind ausbaufähig? Welche Werte bekommen zu viel/zu wenig Aufmerksamkeit?
Fazit
Das Streben nach Werten muss kein leeres Geschwafel sein, als teleologische Pyramide bietet es eine stabile Basis für die Definition von Erfolg und den dazugehörigen KPIs. Denn mit der richtigen Technik und Ernsthaftigkeit stellt sich eine werteorientierte Erfolgsdefinition als viel sachlicher, analytischer und zielorientierter heraus, als das Streben derer, die nur Profit oder Mitarbeiterglück predigen.
*Du fragst Dich sicher, was ganz oben steht in der Pyramide. Eine Antwort wäre, dass dies dann einfach der Erfolg ist, und die Streben darunter eben den Erfolg charakterisieren, worin der Erfolg besteht. Eine andere wäre Purpose, also der Existenzgrund der Organisation. Vielleicht ist es aber eben auch einfach wie eine Pyramide: Das Oberste Stück ist nur Schmuck, sie stützt keine anderen Steine und ist einfach nur ein Zeichen dafür, dass das ganze Ding sehr gerade und stabil gebaut ist.
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